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Es gibt immer einen guten Grund bei uns zu kaufen?

Markt machen heißt, Selbstverständliches in Frage zu stellen

Die „Legende vom gesättigten Markt“ entsteht durch gedankliche Muster, die ich in „7 Kapitel von begrenzenden Selbstverständlichkeiten“ zusammengefasst habe.
Diese Selbstverständlichkeiten bauen aufeinander auf, beeinflussen und bedingen einander. Ihre Kultivierung täuscht Marktsättigung vor.

Kapitel 1 Wachstum ist eine Gerade nach oben? lesen Sie hier.
Kapitel 2 Kennen wir unser Geschäft und unseren Markt wirklich? lesen Sie hier.
Kapitel 3 Mehr können wir für unsere Kunden nicht tun? lesen Sie hier.
Kapitel 4 Mit unserer Leistung lösen wir die Probleme der Kunden? lesen Sie hier.

Kapitel 5: Es gibt immer einen guten Grund bei uns zu kaufen? 

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Fünfte begrenzende Selbstverständlichkeit: Es gibt immer einen guten Grund bei uns zu kaufen!

Ein wichtiger Zweig der Marktforschung ist die Motivforschung. Sie „beschäftigt sich mit den Foto 2Beweggründen bewussten und unbewussten menschlichen Handelns, besonders im Konsumentenverhalten und bei Kaufentscheidungen“. Vorsicht Falle: Diese Lehrbuchdefinition birgt bereits den Keim der Begrenzung in sich. Dieser Forschungszweig geht der Frage nach „Warum kaufen Kunden?“. Er erforscht die Beweg-Gründe, die „Warums“ der Kunden. Aber genügt es, sich nur mit den Kauf-Gründen zu beschäftigen? Erfahren Sie hier, warum die Frage nach dem „Warum“ nur die eine Hälfte des Kundenverhaltens erklärt und damit den Markt eher gesättigt erscheinen lässt.

In den frühen Entwicklungsphasen eines Marktes reicht es meist aus, sich nur mit den Kaufgründen auseinanderzusetzen. Je „reifer“ ein Markt wird, um so ungenügender wird es, nur über die Gründe der Kunden nachzudenken. Mit zunehmender Marktreife werden Gründe relativ unwichtiger für die Kaufentscheidungen der Kunden. Sich mit der Frage zu beschäftigen „Warum kaufen meine Kunden? Warum könnten sie noch kaufen? Kann ich noch Gründe finden?“ schafft nicht mehr genügend Handlungsoptionen in der Marktbearbeitung reifer Märkte. Also, wie denken, sodass wir unsere Handlungsoptionen vergrößern? Wonach fragen?

In eine andere Richtung fragen

Menschen handeln ja nicht nur aus Gründen. Menschen verfolgen mit ihren Handlungen, mit ihrem Konsumverhalten auch Zwecke. Mehr, als wir glauben. Hinter Kaufentscheidungen stehen immer und vor allem Ziele, die es zu verfolgen gilt. Motiv ist mehr Zweck als Grund. Ich plädiere daher für eine begriffliche Erweiterung der Motivforschung: Von der Beschäftigung mit den Beweg-Gründen zur Beschäftigung mit den Beweg-Zwecken. Es geht also auch um die Frage nach den „Wozus“ der Kunden und nicht nur um die Frage nach den „Warums“. Das macht das Bild von Markt und seinen Potenzialen weiter, bunter und schärfer. Die Betrachtung des Marktes durch die Brille der Kunden-Warums führt zu einer anderen Marktoptik als die Betrachtung durch die Brille der „Wozus“.
Das soll nicht sprachliche Haarspalterei sein, sondern dient der verkäuferischen Gründlichkeit, denn: Unklare Sprache schafft unklares Denken schafft unklares Handeln. Als Beispiel: Stellen sie sich vor, ein kleines Mädchen sitzt in seinem Kinderzimmer und weint. Und der Papa fragt: „Warum weinst Du?“. Antwort „Weil meine Puppe kaputt ist“. – „Und wozu weinst Du?“ – „Damit ich eine neue kriege!“. Durch diese Frage hat der Papa die Handlungsoptionen verdoppelt, um die Vater-Tochterbeziehung zu pflegen: Anteilnahme und/oder Puppenkauf.
Das menschliche Verhalten „weil …“ unterscheidet sich vom menschlichen Verhalten „damit …“. Wenn es also darum geht, Konsumentenverhalten zu erklären, liefert die Beschäftigung mit den „Warums und Weils“ andere Handlungsoptionen als die Beschäftigung mit den „Wozus und Damits“.
Den Bedarf eines Kunden allein aus seinen Beweg-Gründen abzuleiten wird zu unscharf und führt immer öfter zu falschen Angeboten. In reifen Märkten, in Wohlstandmärkten kann es durchaus sein, dass Gründe, die in der Vergangenheit einen Kaufakt ausgelöst haben („Fernseher kaputt, wir kaufen einen neuen“) heute die Möglichkeit zum Gegenteil, nämlich den Nichtkonsum bieten. „Bin ich froh, dass der Fernseher kaputt ist. Ab jetzt sind wir ein fernsehfreier Haushalt“: Entkonsumierung.

Der Zweck bestimmt das Brauchen

Damit gelten alte Ursache-Wirkungsbezüge des Kundenverhaltens plötzlich nicht mehr: „Ich hätte gerne einen Fernseher, weil mein Alter ist kaputt“ kann plötzlich werden zu „Ich hätte gerne einen Plattenspieler, weil mein Fernseher kaputt ist“. Wenn sich die Motivationslage geändert hat, dann müssen wir uns auch mit den Zwecken beschäftigen, um die Treffsicherheit unser Vorschläge an die Kunden zu erhöhen.

Nocheinmal: Kaufentscheidungen werden weit mehr von den Zwecken als von den Gründen beeinflusst. 10 Kunden, die einen Fernseher kaufen wollen, haben den gleichen Grund: „Weil der alte kaputt ist“, aber möglicherweise 10 unterschiedliche Zwecke. Die Zwecke bestimmen, dass der eine sich für das große, der andere für das flache und der dritte für das tragbare Gerät entscheidet. Der Zweck bestimmt das Brauchen.

Differenzierung durch Zweck

Verkäufer, die sich mit den „Wozus“ der Kunden beschäftigen, haben mehr und größere Handlungsoptionen um den Markt erfolgreich zu bearbeiten als Verkäufer, die sich zwar aufopfernd um die „Warums“ der Kunden kümmern, aber nicht auf die Zwecke schauen. Die Differenzierungspotenziale liegen in der Bearbeitung der „Wozus“. Dort kann man schwer aufholbare Unterschiede aufbauen. „Wir sind die besten im Erkennen und Beantworten der „Wozus“ unserer Kunden. Das macht den Unterschied, der den Unterschied ausmacht.“

Menschliches Verhalten ist zweckorientiert

Wir Menschen verfolgen mit unserem Verhalten im Wesentlichen drei Zwecke: Vermeiden von Bestrafung, Erreichen von Belohnung, Schaffen von Überzeugung. Bei der Verfolgung dieser Zwecke treiben uns die Kraftquellen Angst, Lust und Sinn. Sie sind so etwas wie Energiekerne für menschliches Verhalten. Keiner dieser Energiekerne ist besser oder schlechter als der andere. Das Mischungsverhältnis bestimmt die Wirksamkeit.
Ein Energiekern menschlichen Verhaltens ist „Angst“: Menschen verhalten sich aus Angst vor unangenehmen Konsequenzen. Angst ist wichtig, sie sichert unser Überleben. Kennen Sie Situationen, in denen Sie intuitiv aus Angst unglaubliche Energien entwickelt haben? Angst gibt bis zu einem bestimmten Ausmaß Kraft. Der Nachteil dieses Energiekerns: Wenn Angst zu stark wird, blockiert sie.
„Lust“ ist eine weitere Antriebsquelle. Menschliches Verhalten ist ebenso über Lust gesteuert. All die Goodies, mit denen wir uns und andere belohnen. Nach dem Motto: „Man gönnt sich ja sonst nichts.“ Pure Lust. Nachteil: die Sensibilität stumpft ab, man braucht immer mehr davon (Sucht) und wie Freud schon sagte: „Bei Überreizung schlägt Lust in Unlust um.“

Angst und Lust verlieren ihre Kraft

Über diese beiden Energiekerne konnten wir in der Vergangenheit menschliches Verhalten ausreichend erklären und steuern. Belohnung und Bestrafung, Zuckerbrot und Peitsche. Auch als Methode der Unternehmensführung. Das hat zum Bild des „homo oeconomicus“ geführt. Das wirtschaftende Subjekt, das nach rationalen Kriterien entscheidet.
Auch Kunden sind in Ihrem Kauf- und Konsumverhalten von diesen Kräften gesteuert. Kunden kaufen aus Angst, Kunden kaufen aus Lust und Anbieter haben Handlungsoptionen, sie in ihrem Verhalten durch Angstförderung/Angstvermeidung und oder Luststeigerung/Lustschaffung zu beeinflussen, soll heißen: zum Kauf zu veranlassen.

Die Nachteile beider Energiekerne sind

  1. die angestrebte Verhaltensveränderung (= Kundenloyalität), die durch diese beiden Energiekerne ausgelöst wird, ist nicht nachhaltig
  2. beide Verhaltensbeeinflussungskonzepte erzielen durch ihren langjährigen Einsatz im weniger Effekte. Es gilt das „Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen“

Über diese beiden Antriebsquellen gehen uns also die Handlungsoptionen zur Steuerung des Kundenverhaltens langsam aus. So Aussagen wie „Geiz ist geil“, „Reicher als reich“ oder „Ich bin doch nicht blöd“ stehen für die letzten verzweifelten Steuerungsversuche.

Verhalten aus Sinn

Gibt es vielleicht doch noch zusätzliche Handlungsoptionen? Ich glaube ja, denn es schlummert da noch ein gewaltiger Energiekern und wartet auf seine Freisetzung: „Sinn“. Menschen/Kunden zeigen auch ein Verhalten ohne Belohnung und trotz Bestrafung. Sie zeigen dieses Verhalten, weil es einfach sinnvoll ist. Handeln und Kaufen aus Sinn.

Konsumenten handeln in einem hohen Grad sinngesteuert, wenn sie etwa Bioprodukte kaufen. Sie akzeptieren damit Nachteile (frühere Verderblichkeit der Ware, höherer Preis etc.) und verzichten auf Vorteile (sieht meist nicht so schön aus und schmeckt oft nicht wirklich besser, manchmal sogar das Gegenteil). Aber sie sind bereit, das in Kauf zu nehmen, weil sie Bioprodukte sinnvoll finden. Auch hier gilt wieder: Steuerungsmöglichkeiten des Kundenverhaltens sind kein „Entweder-oder“ sondern ein „Sowohl als auch“. Menschliches Verhalten, Kundenverhalten ist immer eine Melange aus allen 3 Energiekernen.

Welche Antriebsquelle wollen Sie bei Ihren Kunden aktivieren? 

In einer Spaßgesellschaft, und wir leben in einer solchen, ist der Markt, der über Lustförderndes zu bearbeiten ist, naturgemäß eng und schnell gesättigt. Angst- und lustgeprägte Märkte über „Angst“ und „Lust“ zu steuern, bringt nur mehr vom Gleichen und führt so zu Marktsättigungserscheinungen. Erweitern Sie Ihre Argumentation um Komponente „Sinn“ und vergrößern Sie damit Ihre Handlungsmöglichkeiten und Ihren Markt. Denn der Markt für Sinn ist da.

Nicht allen Kunden ist das bewusst. Das Bewußtsein dafür zu schaffen, ist die edle Herausforderung für moderne Verkäufer. Das nächste Mal beschäftige ich mich mit der 6. begrenzenden Selbstverständlichkeit, namlich der, dass Kunden nicht immer wissen, was sie wollen.