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Kennen wir unser Geschäft und unseren Markt wirklich?

Markt machen heißt, Selbstverständliches in Frage zu stellen

Die „Legende vom gesättigten Markt“ entsteht durch gedankliche Muster, die ich in „7 Kapitel von begrenzenden Selbstverständlichkeiten“ zusammengefasst habe.
Diese Selbstverständlichkeiten bauen aufeinander auf, beeinflussen und bedingen einander. Ihre Kultivierung täuscht Marktsättigung vor.

Kapitel 1 Wachstum ist eine Gerade nach oben? lesen Sie hier.

Kapitel 2: Kennen wir unser Geschäft und unseren Markt wirklich?

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Zweite Selbstverständlichkeit: „Wir kennen unseren Markt und unser Geschäft“

Dass man sein Geschäft und seinen Markt kennt, klingt wie die größte Selbstverständlichkeit der Welt –und gerade in diesem vermeintlichen Kennen liegt die größte Tendenz zur Marktsättigung. Kennen wir unser Geschäft tatsächlich? Und was kennen wir, wenn wir „unseren Markt“ kennen? Ist diese Kenntnis nicht gleichzeitig Einschränkung und Beengung? Was wäre an zusätzlichen Möglichkeiten drinnen, wären wir nicht in diesem Erkenntnis-Tunnel gefangen und würden Geschäft und Markt „wirklich“ kennen? Hier lesen Sie, wie Sie die Gefahr des Erfolgstunnels vermeiden.

Die Geschäftsdefinition definiert den Erfolg

Die ehrbare Branche der Bandagisten und Orthopädietechniker ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Kenntnis des eigenen Marktes und damit die selbstgewählte Begrenzung des eigenen Geschäftsverständnisses offensichtliches Geschäftspotential behindern kann: Es gab dort das jahrzehntelang erworbene   Knowhow über den Aufbau und die Funktion des Bewegungsapparates, besonders der Füße. Diese Branche hätte damit die besten Voraussetzung gehabt, bei Entstehen des Lauf-Booms und der Nordic Walking-Welle das Geschäft mit den dafür erforderlichen Sport-Schuhen zu machen. Das Geschäft machten aber die neu entstandenen Laufshops.

Warum konnten, besser mussten sich diese Laufshops etablieren? Die etablierte Branche hatte zwar das Knowhow, aber nicht den Blick auf das entstehende Segment. Sie hat „ihren Markt gekannt“ und sich mit dieser Kenntnissen in ein anderes Segment definiert. Sie dachte sich als „Gesundheit und Rehabilitation“, statt als „Freizeit und Vorsorge“. Und sie verkannte damit gutes Geschäft mit Hobby-Läufern und -Walkern. Erst spät ist sie auf den Zug aufgesprungen und man findet nun auch in ihren Auslagen Angebote für FreizeitsportlerInnen und nicht mehr nur für Bewegungsbehinderte.

Die Definition des eigenen Geschäftes ist ein Schlüsselfaktor für den Geschäftserfolg. In dieser Geschäftsdefinition wurzeln die Erfolgs- oder Misserfolgsparameter des eigenen Marktes. Konkret formuliert geht es um die Frage: „Was ist unser Geschäft?“. Die letzten 200 Jahre Industriegeschichte liefern eine Fülle von Beispielen, in denen eine zu enge Definition des eigenen Geschäftes den Untergang von Unternehmen oder ganzen Branchen beschleunigt hat. Als typische Beispiele dafür bieten sich die Eisenbahnen und Hollywood an.

Von der Erfolgsstory zum Zuschussbetrieb

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren Eisenbahngesellschaften höchst rentable Investitionen und für den wirtschaftlichen Aufschwung ganzer Regionen maßgebend. Menschen, die Geld zu investieren hatten, gründeten Eisenbahngesellschaften oder erwarben Anteile daran und machten ein Vermögen damit. Heute sind Eisenbahnen Zuschussbetriebe. Hat es so kommen müssen? Ja! – Hätte es so kommen müssen? Nein!

Es hat so kommen müssen, weil sich diese Gesellschaften immer die Geschäftsdefinition „Eisenbahn“ gegeben haben. Es hätte nicht so kommen müssen, wenn sie in einer weiteren Geschäftsdefinition gedacht hätten, zum Beispiel in „Transport“. Dann wären sie möglicherweise bei Aufkommen des Konkurrenten „Flugzeug“ mit dabei gewesen oder in den USA beim Bus. Es steht ja nirgends geschrieben, dass Eisenbahngesellschaften nicht auch Fluggesellschaften oder Busunternehmen betreiben dürfen.

Hollywood definierte „Film“ als sein Geschäft. Und fuhr damit bis in die 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts gut. Mit Aufkommen des Fernsehens, zuerst in Amerika und dann weltweit, bekam es Hollywood mit einem „schrumpfenden Markt“ zu tun. Bei Beibehaltung der Geschäftsdefinition „Film“ hätte sich Hollywood trotz aller Maßnahmen zu einem Rumpfmarkt entwickelt. Erst als Hollywood begann, sich als Teil der Unterhaltungsindustrie zu verstehen und die Geschäftsdefinition „Unterhaltung“ verinnerlichte, wurde es wieder überlebensfähig. Nicht weil der Markt nicht vorher schon da gewesen wäre, sondern weil er mit der alten Geschäftsdefinition nicht gesehen werden konnte.

„Denke stets so, dass Du die Anzahl Deiner Möglichkeiten vergrößerst.“ Denken in „Unterhaltung“ brachte mehr Handlungsmöglichkeiten als Denken in „Film“: Federpennale mit Pocahontas, Plastikfiguren zu Happy Meal fallen einem unter „Film“ schwerer ein als unter „Unterhaltung“. Und all die nachfolgenden Vernetzungen auf dem Medienmarkt (Film, Video, CD, Buch) auch.

„Ver-rückte“ Ideen brechen Regeln, die niemand aufgestellt hat

Zu viele Unternehmen denken immer noch unternehmenszentriert statt marktzentriert. Sie verstehen sich aus ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, Technologien und Produktionsmöglichkeiten heraus und nicht vom Markt her. Sie wollen Weltmeister einer bestimmten Technologie sein, für die sie Märkte suchen, anstatt Weltmeister auf Märkten, für die sie Leistungen finden, die den Bedarf der Kunden treffen. Oder als Frage formuliert: „Wollen Sie den systemkonformen Kunden oder das kundenkonforme System?“ Die meisten Unternehmen bevorzugen den systemkonformen Kunden. Nicht zuletzt, weil die Kosten bald nichts mehr anderes zulassen.

Somit geht es um die Klärung: „In welchen Grenzen denke ich mein Geschäft?“ In den gewohnten Grenzen, in den realistischen Grenzen oder darüber hinaus in einem ver-rückten Bereich.

Wir erinnern uns alle noch an die Gegenargumente und den Widerstand des etablierten Handels, als Tankstellen begannen, sich auf den Weg zum Nahversorger (mit Milch und Butter) zu machen. Das war jenseits der herrschenden realistischen Geschäftsdefinition im ver-rückten Bereich. Und heute? Tankstellenpächter erzählen, dass sie in jenem Geschäftsbereich die meisten Erträge erwirtschaften und Handelsketten betreiben Tankstellen-Formate. Dass Banken Versicherungsdienstleistungen und umgekehrt anbieten, war auch einmal ver-rückt und damit undenkbar. Am Anfang jeder erfolgreichen Innovation steht eine Blasphemie, also der Verstoß gegen die herrschende Sicht. Wir nennen das dann die „Branchenregeln“. Diese hat aber niemand aufgestellt. Sie sind im Erfolg gewachsen. Das Erfolgreiche wird zur Branchenusance. Sie erinnern sich, mentale Muster sind selbsterzeugend, selbstverstärkend und selbstbegrenzend.

Noch einmal in aller Deutlichkeit: Die Geschäftsdefinition bestimmt die Marktgrenzen und damit die Wahrscheinlichkeit der Marktsättigung. Das Verschieben dieser Grenzen braucht kühnes, mutiges, ver-rücktes Management mit starker Vorstellungskraft.

Märkte sind Konstrukte in den Köpfen der Marktteilnehmer

Mit der Feststellung „Ich kenne meinen Markt“ drängt sich die Frage auf „Was kenne ich, wenn ich meinen Markt kenne?“. Ich kenne das gut, wonach ich frage und worauf ich schaue. Jedes Kennen bedingt aber gleichzeitig ein Nichtkennen, nämlich das worauf ich nicht schaue und wonach ich nicht frage.

Erfolgreiche Unternehmen kennen immer das, was ist, ihre Erfolge in Form von wahrnehmbaren Phänomenen wie Zahlen, Kunden, Innovationen etc. Worauf sie weniger schauen ist das, was nicht ist und das, was alles noch sein könnte. Darüber haben sie keine Kenntnisse. Erfolgreiche Unternehmen können gar nicht wissen, was sie auf Märkten alles versäumen. Davon wissen eine Reihe von ehemaligen Branchen-Marktführern ein Lied zu singen. Sagt Ihnen die Marke Eumig noch etwas oder Nixdorf, Nokia, Borgward oder Elefantenschuhe? Der Erfolg von gestern ist die Gefahr für den Erfolg von morgen.

Wenn wir über Märkte reden, reden wir oft über „Verbraucher“ oder „Käufer“ als ökonomische Abstraktion Je nachdem, welches Bild wir haben, ob wir Kunden als Umsatzpotentiale oder als Menschen denken, sieht unser Markt anders aus. Je nachdem, ob wir unser Unternehmen als Produktionsmaschine für Güter und Dienstleistungen oder als Organismus zur Gewinnung und Sicherung von Kunden oder als Geldmaximierungsmaschinen denken, der Markt sieht jeweils anders aus.

Machen Sie einen kleinen Test zum Thema „Wahrnehmung von Marktchancen“: Wie viele Quadrate = Marktchancen sehen Sie?

Quadrate_Marktchancen_Test

16 – 17– 22 – 26 – 30 oder mehr? Wichtig ist, dass Sie immer eine Chance mehr als Ihr Mitbewerb sehen.

Bei der Erfindung neuer Märkte stehen uns oft alte Systematiken im Weg. Trauen wir uns über ver-rückte Ideen. Weil bei genauerer Betrachtung diese Ideen oft gar nicht so abwegig sind, aber sehr ertragreich. Stellen Sie sich der Herausforderung, Ihre derzeitige Geschäftsdefinition in Frage zustellen. Was gibt es außerhalb der realistischen Sicht noch zu erfinden? Wo liegen die „Ver-rücktheiten“? Dort liegen auch die Marktchancen.

Wie Sie es schaffen, Märkte zu überraschen, erfahren Sie im nächsten Beitrag. Da geht es um die Selbstverständlichkeit, dass wir für unsere Kunden nicht mehr tun können.